Anlage 3 GOLT - Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten (Artikel 94 Abs. 1 LV), in Fällen sonstiger Freiheitsbeschränkungen (Artikel 94 Abs. 2 LV) und in Fällen der Durchsuchung oder Beschlagnahme in den Räumen des Landtags (Artikel 95 Abs. 2 LV) sowie zur zeugenschaftlichen Vernehmung von Mitgliedern des Landtags
Bibliographie
- Titel
- Geschäftsordnung des Landtags Rheinland-Pfalz
- Redaktionelle Abkürzung
- GOLT,RP
- Normtyp
- Rechtsverordnung
- Normgeber
- Rheinland-Pfalz
- Gliederungs-Nr.
- 1101-2
Die nachfolgenden Grundsätze gelten nicht für die Durchführung von Strafverfahren im Zusammenhang mit der Festnahme eines Mitglieds des Landtags bei Ausübung der Tat oder spätestens am folgenden Tag (Artikel 94 Abs. 1 LV) sowie für unaufschiebbare Maßnahmen der Beweissicherung - mit Ausnahme qualifizierter Ermittlungshandlungen -, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Straftat oder einem Verkehrsunfall getroffen werden (Nummer 191 Abs. 3 Buchst. f bis h der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - RiStBV -).
- 1.
Antragsberechtigung und -einreichung
- a)
Berechtigt zur Stellung eines Antrags auf Aufhebung der Immunität sind die Staatsanwaltschaften, die Gerichte, Ehren- und Berufsgerichte öffentlich-rechtlichen Charakters sowie berufsständische Einrichtungen, die kraft Gesetzes Standesaufsicht ausüben. Diese Stellen sind ferner zu der schriftlichen Mitteilung an den Landtagspräsidenten nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 2 der Genehmigung des Landtags gemäß Artikel 94 LV (Vorabgenehmigung) befugt.
- b)
Die Staatsanwaltschaften und Gerichte richten ihre Anträge nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 1 an den Präsidenten des Landtags auf dem Dienstweg über den jeweils für Justiz zuständigen Minister, der sie mit der Bitte vorlegt, eine Entscheidung herbeizuführen, ob die Genehmigung zur Strafverfolgung oder Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Mitglieds des Landtags oder der sonst beabsichtigten Maßnahme erteilt wird.
- 2.
Mitteilung an den Präsidenten des Landtags
- a)
Hat der Landtag für die Dauer einer Wahlperiode die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des Landtags wegen der in Ziffer 1 Buchst. a Satz 1 der Vorabgenehmigung aufgeführten Verfahrensgegenstände genehmigt, so ist vor der Einleitung der entsprechenden Verfahren dem Präsidenten des Landtags und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung entgegenstehen, dem betroffenen Mitglied des Landtags Mitteilung zu machen. Unterbleibt eine Mitteilung an das Mitglied des Landtags, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu unterrichten. Das Recht des Landtags, die Aufhebung des Verfahrens zu verlangen (Artikel 94 Abs. 3 LV), bleibt unberührt.
- b)
Die 48-Stunden-Frist nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 3 der Vorabgenehmigung beginnt mit Eingang des Schreibens beim Präsidenten des Landtags. Fällt der Beginn der Frist auf einen Samstag oder Sonn- und Feiertag, so beginnt der Lauf der Frist am nächsten Arbeitstag. Entsprechendes gilt für das Ende der Frist. Der Landtag bestätigt der absendenden Stelle unverzüglich den Eingang der Mitteilung.
- 3.
Umfang der Vorabgenehmigung und qualifizierte Ermittlungshandlungen
- a)
Die Vorabgenehmigung erfasst nicht Durchsuchungen und Beschlagnahmen sowie die Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach §§ 100a, 100b StPO (qualifizierte Ermittlungshandlungen). Dies gilt unabhängig davon, ob diese Ermittlungshandlungen beim Mitglied des Landtags selbst oder bei Dritten vorgenommen werden.
- b)
Beantragt die Staatsanwaltschaft nach Ziffer 1 Buchst. c Satz 2 der Vorabgenehmigung beim Präsidenten des Landtags die Feststellung, dass der sofortige Vollzug qualifizierter Ermittlungshandlungen oder Zwangsmaßnahmen zur Sicherung der Beweise unbedingt geboten ist, so hat sie mit dem entsprechenden Antrag die gerichtliche Anordnung und auf Verlangen des Präsidenten des Landtags weitere Unterlagen vorzulegen, die dem Präsidenten eine Plausibilitätsprüfung ermöglichen. Dieser kann Auflagen machen. Der Präsident wird im Verhinderungsfall vom Vorsitzenden des Rechtsausschusses oder dem stellvertretenden Vorsitzenden vertreten.
- c)
Durchsuchungen oder Beschlagnahmen dürfen in den Räumen des Landtags nur mit Zustimmung des Präsidenten vorgenommen werden (Artikel 95 Abs. 2 LV). Zu den Räumen des Landtags zählen alle Räumlichkeiten, die dem Landtag oder seinen Einrichtungen zu dienen bestimmt sind. Der Präsident des Landtags kann die Anwesenheit eines Beamten der Landtagsverwaltung zur Auflage machen. Der Antrag an den Landtagspräsidenten hat schriftlich zu erfolgen und ist zu begründen. Auch hier kann der Landtagspräsident die Vorlage des gerichtlichen Durchsuchungs- oder Beschlagnahmebeschlusses verlangen sowie weitere Auflagen machen. Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht des Mitglieds des Landtags reicht (Artikel 95 Abs. 1 Satz 1 LV, § 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO), ist die Beschlagnahme von Schriftstücken unzulässig (Artikel 95 Abs. 1 Satz 2 LV).
- d)
Vor Ablauf der 48-Stunden-Frist nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 3 der Vorabgenehmigung sind Vorermittlungen im Sinne von Nummer 191 Abs. 3 Buchst. b RiStBV möglich. Unzulässig ist jedoch jede Form der Beweisaufnahme, wie etwa die zeugenschaftliche Befragung von Personen oder Inaugenscheinnahmen, auch durch Polizeibeamte, sofern es sich nicht um unaufschiebbare Maßnahmen der Beweisaufnahme handelt, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer Straftat oder einem Verkehrsunfall getroffen werden (Nummer 191 Abs. 3 Buchst. f bis h RiStBV).
- 4.
Stellung der betroffenen Mitglieder des Landtags
In Immunitätsangelegenheiten soll das betroffene Mitglied des Landtags im Landtag das Wort zur Sache nicht erhalten; von ihm gestellte Anträge auf Aufhebung seiner Immunität bleiben unberücksichtigt. Der Rechtsausschuss kann auf Antrag einer Fraktion im Ausschuss dem betroffenen Mitglied Gelegenheit zur Äußerung geben. Wird ein Mitglied des Landtags als Zeuge vernommen, so haben ihn die Ermittlungsbehörden vor Beginn der Vernehmung auf sein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht (Artikel 95 Abs. 1 Satz 1 LV; § 53 Abs. 1 Nr. 4 StPO) hinzuweisen.
- 5.
Entscheidung in Immunitätsangelegenheiten
Das Immunitätsrecht bezweckt vornehmlich, die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des Landtags sicherzustellen. Der einzelne Abgeordnete hat einen Anspruch auf eine von sachfremden, willkürlichen Motiven freie Entscheidung. Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder Aufhebung der Immunität trifft der Landtag in eigener Verantwortung unter Abwägung der Belange des Parlaments und der anderen hoheitlichen Gewalten unter Berücksichtigung der Belange des betroffenen Abgeordneten. In eine Beweiswürdigung wird nicht eingetreten. Die Entscheidung beinhaltet keine Feststellung von Recht und Unrecht, Schuld oder Unschuld.
- 6.
Beleidigungen politischen Charakters
Beleidigungen politischen Charakters sollen in der Regel nicht zur Aufhebung der Immunität führen.
Artikel 93 LV bestimmt, dass ein Mitglied des Landtags wegen einer Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Mandats getanen Äußerung gerichtlich oder dienstlich nicht verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden kann. Hieraus wird der Grundsatz hergeleitet, dass bei Beleidigungen, die außerhalb des Landtags vorgekommen sind, auch die Immunität nicht aufgehoben werden soll, soweit die Beleidigung politischen Charakters ist.
Die Staatsanwaltschaft darf in diesen Fällen zur Vorbereitung einer Entscheidung darüber, ob ein Antrag auf Entscheidung über die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gestellt werden soll, dem Mitglied des Landtags die Anschuldigung mitteilen und ihm anheimstellen, hierzu Stellung zu nehmen. Feststellungen der Staatsanwaltschaft über die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters sowie über andere für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit einer Anzeige wichtigen Umstände bedeuten kein "zur Verantwortung ziehen" im Sinne des Artikels 93 LV.
- 7.
Festnahme eines Mitglieds des Landtags bei Ausübung der Tat
Bei Festnahme eines Mitglieds des Landtags bei Ausübung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages bedarf die Durchführung des Strafverfahrens oder einer Verhaftung, soweit sie bis spätestens am folgenden Tage erfolgt, keiner Genehmigung (Artikel 94 Abs. 1 LV).
Eine erneute Vorführung oder Verhaftung nach vorheriger Freilassung und Verstreichung des der Tat folgenden Tages bedarf dagegen der Genehmigung des Landtags, denn hierin liegt eine Beschränkung der persönlichen Freiheit (Artikel 94 Abs. 2 LV), die in keinem Zusammenhang mit der Festnahme bei der Ausübung der Tat steht.
- 8.
Verhaftung eines Mitglieds des Landtags
- a)
Die Vorabgenehmigung sowie die Genehmigung zur Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat umfasst nicht zugleich auch die Genehmigung zur Verhaftung oder zwangsweisen Vorführung.
- b)
Unter Verhaftung ist nur Untersuchungshaft zu verstehen; die Verhaftung zur Strafvollstreckung bedarf wieder einer besonderen Genehmigung.
- c)
Die Genehmigung zur Verhaftung schließt die Genehmigung zur zwangsweisen Vorführung ein.
- d)
Die Genehmigung zur zwangsweisen Vorführung schließt dagegen nicht die Genehmigung zur Verhaftung ein.
- 9.
Vollstreckung von Freiheitsstrafen oder von Erzwingungshaft (§§ 96, 97 OWiG)
Die Genehmigung zur Erhebung einer öffentlichen Klage wegen einer Straftat berechtigt nicht zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe.
Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer Erzwingungshaft (§§ 96, 97 OWiG) bedarf der Genehmigung des Landtags.
- 10.
Disziplinarverfahren
Die Aufhebung der Immunität zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens gilt nicht zur Durchführung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft wegen des gleichen Sachverhalts. Umgekehrt gilt die Aufhebung der Immunität zur Durchführung eines Strafverfahrens nicht für die Durchführung eines Disziplinarverfahrens. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung für die Mitteilung nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 2 der Vorabgenehmigung. Die Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen bedarf keiner erneuten Genehmigung des Landtags.
- 11.
Ehren- und Berufsgerichtsverfahren
Verfahren vor Ehren- und Berufsgerichten, die öffentlich-rechtlichen Charakter haben, können nur nach Aufhebung der Immunität durchgeführt werden.
- 12.
Genehmigungspflicht in besonderen Fällen
Wegen des besonderen Schutzes vor freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach Artikel 94 Abs. 2 LV ist die Genehmigung des Landtags erforderlich
- a)
zur Vollstreckung von Ordnungshaft, zur Erzwingung einer Unterlassung oder Duldung (§ 890 ZPO),
- b)
zur Vollstreckung der Haft zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners (§ 802g ZPO),
- c)
- d)
- e)
zur Vollstreckung der Zwangshaft zur Erwirkung unvertretbarer Handlungen (§ 888 ZPO),
- f)
zur Vollstreckung der Haft oder sonstigen Freiheitsbeschränkung zum Vollziehen des persönlichen Sicherheitsarrestes (§ 933 ZPO),
- g)
zur Vollstreckung der Ordnungshaft wegen Ungebühr (§ 178 GVG),
- h)
- i)
zur einstweiligen Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 126a StPO),
- j)
zu freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB),
- k)
- l)
- 13.
Anhängige Strafverfahren
Bei Übernahme des Abgeordnetenmandats anhängige Strafverfahren sowie jede angeordnete Haft, Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit sind von Amts wegen auszusetzen. Soll ein Verfahren fortgesetzt werden, so ist vorher eine Entscheidung des Landtags einzuholen bzw. die schriftliche Mitteilung an den Präsidenten des Landtags nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 2 der Vorabgenehmigung zu richten. Dies gilt nicht, soweit bereits die Genehmigung zur Durchführung von Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat erteilt ist.
- 14.
Wiederaufnahme von Verfahren
Für die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Verfahren ist ebenfalls eine Aufhebung der Immunität bzw. die schriftliche Mitteilung an den Präsidenten des Landtags nach Ziffer 1 Buchst. a Satz 2 der Vorabgenehmigung erforderlich, und zwar unabhängig davon, ob die Wiederaufnahme dem Ziel eines Freispruchs oder der Verurteilung dient.
- 15.
Vertraulichkeit von Immunitätsangelegenheiten
Immunitätsangelegenheiten sind von allen Beteiligten vertraulich zu behandeln (§ 115 Abs. 1 Satz 3 GOLT). Zwar gilt der Informationsanspruch der Medien nach § 6 Abs. 1 des Landesmediengesetzes auch in Immunitätsangelegenheiten. Allerdings sind die sich aus § 6 Abs. 2 des Landesmediengesetzes ergebenden Schranken zu beachten. Dabei sollte - auch in die Wertung der Staatsanwaltschaft - einfließen, dass Immunitätsangelegenheiten auf Grund ihrer Vertraulichkeit einem besonderen strafrechtlichen Schutz (§ 353b StGB) unterliegen. Sie eignen sich daher grundsätzlich nicht für eine öffentliche Darstellung, es sei denn, das "öffentliche Interesse" überwiegt evident. Die Beachtung der Vertraulichkeit gebietet auch das rechtsstaatliche Gebot fairen Verfahrens und die Wahrung des Ansehens der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaft (vgl. Nummern 23 Abs. 1 und 191 Abs. 6 RiStBV).