§ 26a SOG M-V - Schutz des Kernbereiches privater Lebensgestaltung (4)
Bibliographie
- Titel
- Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG M-V)
- Amtliche Abkürzung
- SOG M-V
- Normtyp
- Gesetz
- Normgeber
- Mecklenburg-Vorpommern
- Gliederungs-Nr.
- 2011-3
(1) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass durch eine Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt werden, ist diese unzulässig.
(2) Werden durch eine Maßnahme auch Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt, dürfen diese nicht verwertet werden. Aufzeichnungen über solche Erkenntnisse sind unverzüglich zu löschen und die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist gemäß § 46d zu dokumentieren; für die Protokollierung gilt § 46e. Die Dokumentation und entsprechende Protokollierung dürfen ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden; sie sind frühestens nach Abschluss der Datenschutzkontrolle gemäß § 48b Absatz 6 und spätestens nach vierundzwanzig Monaten zu löschen.
(3) Dürfen Daten nach diesem Gesetz erhoben werden und rechtfertigen während der Erhebung Tatsachen die Annahme, dass Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden, ist die Maßnahme unverzüglich und so lange wie erforderlich abzubrechen. Dies gilt nicht, sofern der Abbruch der konkreten Maßnahme nicht ohne
- 1.
Gefahr für Leib oder Leben oder
- 2.
konkrete Gefährdung der weiteren Verwendung
der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder Vertrauenspersonen möglich wäre. Im Fall des Absehens von einem Abbruch sind die eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, Vertrauenspersonen sowie deren polizeiliche Kontaktpersonen verpflichtet, Informationen vor der Weitergabe auf ihre Kernbereichsrelevanz zu überprüfen und festgehaltene kernbereichsrelevante Informationen sofort zu löschen oder auf sonstige Weise zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung ist zu dokumentieren, Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend. Werden Daten aufgezeichnet, ist der Aufzeichnungsvorgang, soweit dies technisch möglich ist, unverzüglich zu unterbrechen. Ist die konkrete Maßnahme abgebrochen worden, darf die Maßnahme nur fortgesetzt werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass durch die Maßnahme Erkenntnisse, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Ist eine Fortsetzung nicht möglich, ist die Maßnahme abzubrechen. Die Tatsache des Abbruchs der konkreten Maßnahme, des Absehens von einem Abbruch der konkreten Maßnahme nach Satz 2 und der Fortsetzung der Maßnahme ist zu dokumentieren oder zu protokollieren; Absatz 2 Satz 3 gilt entsprechend.
(4) Soweit in diesem Gesetz nichts Besonderes geregelt ist, ist vor einer Verwendung von Daten in oder aus Wohn- oder Geschäftsräumen oder in oder von befriedetem Besitztum die Rechtmäßigkeit dieser Datenerhebung zuvor richterlich festzustellen. Bei Gefahr im Verzug entscheidet über die Verwendung die Behördenleitung oder eine von ihr besonders beauftragte Beamtin oder ein von ihr besonders beauftragter Beamter; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Sind in den Fällen des Satzes 2 Daten an andere Stellen übermittelt worden und wurde die Rechtmäßigkeit dieser Datenerhebung nicht richterlich bestätigt, ist § 45 Absatz 5 zu beachten.
(5) Soweit in diesem Gesetz nichts Besonderes geregelt ist, sind vor einer Verwendung von Daten in Fällen einer Unterbrechung oder dem Absehen von einer Unterbrechung nach Absatz 3, die nicht bereits von Absatz 4 erfasst werden, die erhobenen Daten der oder dem behördlichen Datenschutzbeauftragten zur Auswertung und Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Datenerhebung vorzulegen. Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Sind in den Fällen des Satzes 2 Daten an andere Stellen übermittelt worden und wurde die Rechtmäßigkeit dieser Datenerhebung nicht von der oder dem behördlichen Datenschutzbeauftragten festgestellt, ist § 45 Absatz 5 zu beachten.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Vom 3. April 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 98)
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2022 - 1 BvR 1345/21 - wird folgende Entscheidungsformel veröffentlicht:
- 1.
§ 33 Absatz 2 Satz 3, § 33c Absatz 1 Satz 2, § 33d Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und § 35 Absatz 1 Satz 2 jeweils in Verbindung mit § 67a Absatz 1, soweit darin auf § 67c Halbsatz 1 Nummer 1 verwiesen wird, sowie § 33b Absatz 1 Satz 2 und § 35 Absatz 1 Satz 1, soweit er in Verbindung mit § 7 Absatz 1 Nummer 4 die Vorsorge für die Verfolgung künftiger Straftaten umfasst, und § 44 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG MV) in der Fassung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung anderer Gesetze vom 27. April 2020 (Gesetz- und Verordnungsblatt Mecklenburg-Vorpommern Seite 334) verstoßen gegen Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.
- 2.
§ 33 Absatz 2 Satz 1 und § 26a Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2, § 33c Absatz 5 Alternative 2, § 33d Absatz 3 Satz 3 in Verbindung mit § 33c Absatz 5 Alternative 2 und § 35 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern, soweit er nicht nichtig ist, sind mit Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und mit Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.
- 3.
Bis zu einer Neuregelung, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2023, gelten die für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Vorschriften mit den folgenden Maßgaben fort:
Maßnahmen gemäß § 33 Absatz 2 Satz 1, gemäß § 33c Absatz 5 Alternative 2 und gemäß § 33d Absatz 3 Satz 3 in Verbindung mit § 33c Absatz 5 Alternative 2 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern dürfen nur ergriffen werden, wenn eine wenigstens konkretisierte Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Sachen von bedeutendem Wert besteht, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, wie zum Beispiel wesentliche Infrastruktureinrichtungen oder sonstige Anlagen mit unmittelbarer Bedeutung für das Gemeinwesen.
Eine Ausnahme von dem Gebot des Abbruchs der Datenerhebung bei Eindringen in den grundrechtlich geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung nach § 26a Absatz 3 Satz 1 Halbsatz 2 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern darf, soweit sie dem Schutz der verdeckt Ermittelnden selbst oder einer Vertrauensperson selbst dient, nur erfolgen, wenn ansonsten eine Gefahr für deren Leib oder Leben besteht. Wenn ein Abbruch unterbleibt, müssen die Kernbereichsrelevanz vor der Weitergabe der Information überprüft, der fehlende Abbruch dokumentiert, festgehaltene kernbereichsrelevante Informationen sofort gelöscht oder auf sonstige Weise vernichtet und dies ebenfalls dokumentiert werden.
Maßnahmen gemäß § 35 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern dürfen nur ergriffen werden, wenn eine wenigstens konkretisierte Gefahr für ein Rechtsgut von mindestens erheblichem Gewicht besteht.
Die vorstehende Entscheidungsformel hat gemäß § 31 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Gesetzeskraft.