Anlage 1 RSAV

Bibliographie

Titel
Verordnung über das Verfahren zum Risikostrukturausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung (Risikostruktur-Ausgleichsverordnung - RSAV)
Amtliche Abkürzung
RSAV
Normtyp
Rechtsverordnung
Normgeber
Bund
Gliederungs-Nr.
860-5-12

Anlage 1
(zu §§ 28b bis 28g)

Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ 2

1. Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors (§ 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)

1.1 Definition des Diabetes mellitus Typ 2
Als Diabetes mellitus Typ 2 wird die Form des Diabetes bezeichnet, die durch relativen Insulinmangel auf Grund einer Störung der Insulinsekretion entsteht und in der Regel mit einer Insulinresistenz einhergeht.(1)

1.2 Diagnostik (Eingangsdiagnose)
Die Diagnose eines Diabetes mellitus gilt als gestellt, wenn die folgenden Kriterien erfullt sind:

  1. -
    Nachweis typischer Symptome des Diabetes mellitus (z. B. Polyurie, Polydipsie, ansonsten unerklarlicher Gewichtsverlust) und
  2. -
    Nüchtern-Glukose im Plasma (i.P.) (bzw. im Serum) >=7,0 mmol/l (>=126 mg/dl) oder Nicht-Nüchtern-Glukose i.P. >=11,1 mmol/l (>=200 mg/dl)


Bei Abwesenheit diabetischer Symptome:
Die Diagnose eines Diabetes mellitus wird unabhangig von Alter und Geschlecht durch Messung mehrfach erhohter Nüchtern-Blutzuckerwerte an mindestens zwei verschiedenen Tagen gestellt:

  1. -
    mindestens zweimaliger Nachweis von Nüchtern-Glukose i.P. >=7,0 mmol/l (>=126 mg/dl),
  2. -
    mindestens zweimaliger Nachweis von Nicht-Nüchtern-Glukose i.P. >=11,1 mmol/l (>=200 mg/dl) oder
  3. -
    Nachweis von Glukose i.P. >=1,1 mmol/l (>=200 mg/dl)/2 Stunden nach oraler Glukosebelastung (75 g Glukose).


Die Werte fur venöses und kapillares Vollblut ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle 1.

Tabelle 1
Interpretation eines Nüchtern-BZ-Wertes sowie Zwei-Stunden-BZ-Wertes nach oralem Glukosetoleranztest (75 g oGTT)

PlasmaglukoseVollblutglukose
venöskapillärvenöskapillär
mmol/lmg/dlmmol/lmg/dlmmol/lmg/dlmmol/lmg/dl
Nüchtern >= 7,0>= 126>= 7,0>= 126>= 6,1>= 110>= 6,1>= 110
2 Std. nach oGTT>= 11,0>= 200>= 12,2>= 220>= 10,0>= 180>= 11,0>= 200

Bei verdächtigem klinischen Bild und widersprüchlichen Messergebnissen ist zusätzlich die Diagnosestellung mittels oralem Glukosetoleranztest möglich. Die zur Einschreibung führenden Messungen dürfen nicht während akuter Erkrankungen (z. B. Infektionen) oder während der Einnahme das Ergebnis verfälschender Medikamente (z. B. Glukokortikoide) durchgeführt werden, es sei denn, die Einnahme dieser Medikamente ist wegen einer chronischen Erkrankung langfristig erforderlich. Die Unterscheidung zwischen Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 erfolgt anhand der Anamnese und des klinischen Bildes.
Die Einschreibekriterien für strukturierte Behandlungsprogramme ergeben sich zusätzlich aus Ziffer 3. Der Leistungserbringer soll prüfen, ob der Patient im Hinblick auf die unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele von der Einschreibung profitieren und aktiv an der Umsetzung mitwirken kann.

1.3 Therapie des Diabetes mellitus

1.3.1 Therapieziele
Die Therapie dient der Erhöhung der Lebenserwartung sowie der Erhaltung oder der Verbesserung der von einem Diabetes mellitus beeinträchtigten Lebensqualität. Dabei sind in Abhängigkeit z. B. von Alter und Begleiterkrankungen des Patienten unterschiedliche, individuelle Therapieziele anzustreben:

  1. 1.
    Vermeidung von Symptomen der Erkrankung (z. B. Polyurie, Polydipsie, Abgeschlagenheit) einschließlich der Vermeidung neuropathischer Symptome, Vermeidung von Nebenwirkungen der Therapie sowie schwerer Stoffwechselentgleisungen,
  2. 2.
    Reduktion des erhöhten Risikos für kardiale, zerebrovaskuläre und sonstige makroangiopathische Morbidität und Mortalität einschließlich Amputationen,
  3. 3.
    Vermeidung der mikrovaskulären Folgekomplikationen mit schwerer Sehbehinderung oder Erblindung, Niereninsuffizienz mit der Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation),
  4. 4.
    Vermeidung des diabetischen Fußsyndroms mit neuro-, angio- und/oder osteopathischen Läsionen.

1.3.2 Differenzierte Therapieplanung
Gemeinsam mit dem Patienten ist eine differenzierte Therapieplanung auf der Basis einer individuellen Risikoabschätzung vorzunehmen. Der Leistungserbringer hat zu prüfen, ob der Patient im Hinblick auf die in Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele von einer bestimmten Intervention profitieren kann. Die Durchführung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen erfolgt in Abstimmung mit dem Patienten nach ausführlicher Aufklärung über Nutzen und Risiken. Auf der Basis der individuellen Risikoabschätzung und der allgemeinen Therapieziele sind gemeinsam mit dem Patienten individuelle Therapieziele festzulegen. Sofern im Rahmen der individuellen Therapieplanung andere Wirkstoffe als die in dieser Anlage genannten verordnet werden sollen, ist der Patient darüber zu informieren, ob für diese Wirkstoffe Wirksamkeitsbelege zur Risikoreduktion klinischer Endpunkte vorliegen.

1.4 Basistherapie

1.4.1 Ernährungsberatung
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 erhalten im Rahmen des strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramms eine qualifizierte krankheitsspezifische Ernährungsberatung.

1.4.2 Raucherberatung
Im Rahmen des Schulungs- und Behandlungsprogramms sollen die Patienten über die besonderen Risiken des Rauchens für Diabetiker informiert werden, insbesondere im Hinblick auf makro- und mikroangiopathische Komplikationen, verbunden mit der dringenden Empfehlung, das Rauchen aufzugeben.

1.4.3 Körperliche Aktivitäten
Der Arzt überprüft mindestens einmal jährlich, ob der Patient von einer Steigerung der körperlichen Aktivität profitiert. Mögliche Interventionen müssen darauf ausgerichtet sein, den Patienten zu motivieren, das erwünschte positive Bewegungsverhalten eigenverantwortlich und nachhaltig in seinen Lebensstil zu integrieren.

1.4.4 Stoffwechselselbstkontrolle
Im Rahmen des strukturierten Schulungs- und Behandlungsprogramms sollen die Patienten mit der Durchführung sowie der Interpretation der Ergebnisse der Stoffwechselselbstkontrolle vertraut gemacht werden.

1.5 Medikamentöse Maßnahmen
Zur Erreichung der individuellen Therapieziele sollen nach Möglichkeit zunächst nicht-medikamentöse Maßnahmen ausgeschöpft werden. Vorrangig sollen unter Berücksichtigung der Kontraindikationen und der Patientenpräferenzen Medikamente zur Blutzuckersenkung verwendet werden, deren positiver Effekt und deren Sicherheit im Hinblick auf die Erreichung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeit-Studien nachgewiesen wurden. Es handelt sich in Monotherapie hierbei um folgende Wirkstoffgruppen zur blutzuckersenkenden Behandlung:

  1. -
    Insulin,
  2. -
    Sulfonylharnstoffe,
  3. -
    Biguanide.

Nutzen und Sicherheit folgender Medikamente sind in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeit-Studien nachgewiesen: Human- oder Schweine-Insulin, Glibenclamid (als Monotherapie) und Metformin (beim adipösen Patienten; als Monotherapie).

1.6 Behandlung hyper- und hypoglykämischer Stoffwechselentgleisungen
Bei typischen Symptomen der Hyperglykämie (z. B. Gewichtsverlust, Durst, Polyurie, Mykosen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit) ist eine Verbesserung der Blutzucker-Einstellung anzustreben. (2) Vorrangig sollen zur Blutzuckersenkung Medikamente verwendet werden, deren positiver Effekt und deren Sicherheit im Hinblick auf die Erreichung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeit-Studien nachgewiesen wurden.
Das Auftreten von symptomatischen Hypoglykämien erfordert eine entsprechende Therapieanpassung.

1.7 Begleit- und Folgeerkrankungen des Diabetes mellitus

1.7.1 Makroangiopathie
Die Makroangiopathie stellt das Hauptproblem des Diabetikers Typ 2 dar. Unabhängig von der blutzuckersenkenden Therapie reduziert die blutdrucksenkende Therapie bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 die Morbidität und Mortalität. - - .
Vor der Einleitung einer Therapie sollte eine quantifizierte, individuelle Risikoabschätzung erfolgen.
Primär sollen zur Beeinflussung makroangiopatischer Begleit- und Folgeerkrankungen Interventionen durchgeführt werden, deren positiver Effekt auf Mortalität und Morbidität, wie sie in den Therapiezielen formuliert wurden, nachgewiesen ist. Insbesondere folgende Maßnahmen sind neben der Basistherapie und der unter Ziffer 1.5 genannten Therapie anzubieten:

  1. -
    Antihypertensive Therapie,
  2. -
    Lipidmodifizierende Therapie

1.7.1.1 Antihypertensive Therapie
Arterielle Hypertonie bei Diabetes mellitus Typ 2: Definition und Diagnosestellung
Wenn nicht bereits eine Hypertonie bekannt ist, kann die Diagnose wie folgt gestellt werden:
Eine Hypertonie liegt vor, wenn bei mindestens zwei Gelegenheitsblutdruckmessungen an zwei unterschiedlichen Tagen Blutdruckwerte von >140 mmHg systolisch und/oder >90 mmHg diastolisch vorliegen. Diese Definition bezieht sich auf manuelle auskultatorische Messungen im klinischen Umfeld, die durch einen Arzt oder geschultes medizinisches Personal durchgeführt werden, und gilt unabhängig von Alter oder vorliegenden Begleiterkrankungen.

Tabelle 2
Normotone vs. hypertone Blutdruckwerte

DefinitionBlutdruck systolisch(mmHg) Blutdruck diastolisch (mmHg)
normoton < 140und< 90
hyperton>= 140und/oder>= 90
systolisch hyperton>= 140und< 90

Die Blutdruckmessung ist methodisch standardisiert durchzuführen. Es sind entsprechende Qualitätssicherungsmaßnahmen der Blutdruckmessung vorzusehen, die gewährleisten, dass die Durchführung der Blutdruckmessung gemäß der nationalen und internationalen Leitlinien erfolgt.

Sekundäre Hypertonie
Bei Hinweisen auf das Vorliegen einer sekundären Hypertonie ist eine sorgfältige Abklärung erforderlich. Der Arzt soll die Notwendigkeit der gezielten Weiterleitung des Patienten an einen in der Hypertoniediagnostik besonders qualifizierten Arzt prüfen.

Therapeutische Maßnahmen

Therapieziele
Durch die antihypertensive Therapie soll die Erreichung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele (insbesondere Punkt 2 und 3) angestrebt werden. Hierfür ist eine Senkung des Blutdruckes auf Werte systolisch unter 140 mmHg und diastolisch unter 90 mmHg anzustreben.

Basistherapie
Bei der Auswahl der unter Ziffer 1.4 genannten Maßnahmen ist das Vorliegen einer arteriellen Hypertonie gesondert zu berücksichtigen.
Bei der Ernährungsberatung (Ziffer 1.4.1) sollten dem Patienten praktikable Hinweise zur Reduktion einer übermäßigen Kochsalzaufnahme gegeben werden.

Strukturiertes Hypertonie-Behandlungs- und Schulungsprogramm
Jeder Patient mit Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie soll Zugang zu einem strukturierten, evaluierten, zielgruppenspezifischen und publizierten Schulungs- und Behandlungsprogramm erhalten. Im Übrigen gelten die unter Ziffer 4.2 genannten Zugangs- und Qualitätssicherungskriterien.

Medikamentöse Maßnahmen
Vorrangig sollen unter Berücksichtigung der Kontraindikationen und der Patientenpräferenzen Medikamente zur Blutdrucksenkung verwendet werden, deren positiver Effekt und deren Sicherheit im Hinblick auf die Erreichung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele (insbesondere Punkt 2 und 3) in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeit-Studien nachgewiesen wurden.
Dabei handelt es sich, in Monotherapie oder in Kombination, um folgende Wirkstoffgruppen: -

  1. -
    Thiaziddiuretika,
  2. -
    ß1-Rezeptor-selektive Betablocker,
  3. -
    Angiotensin-Conversions-Enzym-Hemmer (ACE-Hemmer).


Nutzen und Sicherheit folgender Medikamente sind in prospektiven, randomisierten Langzeit-Studien nachgewiesen:

  1. -
    Thiaziddiuretika: Hydrochlorothiazid ggf. in Kombination mit kaliumsparenden Diuretika (Amilorid, Triamteren),
  2. -
    ß1-Rezeptor-selektive Betablocker: Metoprolol, Atenolol, Bisoprolol,
  3. -
    Angiotensin-Conversions-Enzym-Hemmer (ACE-Hemmer): Captopril, Enalapril, Ramipril.

1.7.1.2 Lipidmodifizierende Therapie
Vorrangig sollen unter Berücksichtigung der Kontraindikationen und der Patientenpräferenzen Medikamente zur lipidmodifizierenden Therapie verwendet werden, deren positiver Effekt und deren Sicherheit im Hinblick auf die Erreichung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele (insbesondere Punkt 2 und 3) in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeit-Studien nachgewiesen wurden.
Dabei handelt es sich in Monotherapie oder in Kombination um folgende Wirkstoffgruppen: HMG-CoA-Reduktase-Hemmer (Statine).
Nutzen und Sicherheit folgender Wirkstoffe sind in prospektiven, randomisierten Langzeit-Studien nachgewiesen:

  1. -
    Pravastatin,
  2. -
    Simvastatin.

1.7.2 Mikrovaskuläre Komplikationen

1.7.2.1 Allgemeinmaßnahmen
Bei Vorliegen von mikrovaskulären Komplikationen sollte der Arzt überprüfen, ob der Patient zu einer Untergruppe gehört, die von einer normnahen Blutzucker-Einstellung profitiert.

1.7.2.2 Diabetische Nephropathie
Bei etwa 10% der Typ-2-Diabetiker entsteht im Verlauf der Erkrankung innerhalb von zehn Jahren eine diabetische Nephropathie, die bei ca. 10% der Patienten mit Nephropathie zum terminalen Nierenversagen führt.
Der Patient mit einer diabetischen Nephropathie bedarf daher einer spezialisierten und strukturierten Behandlung. Diese erfordert die enge Kooperation zwischen Hausarzt, diabetologisch qualifiziertem Arzt und nephrologisch qualifiziertem Arzt unter Beteiligung diabetes-relevanter Fachberufe im Gesundheitswesen.
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 kann der dringende Verdacht auf eine diabetische Nephropathie insbesondere dann geäußert werden, wenn eine diabetische Retinopathie und eine pathologisch erhöhte Eiweiß-Ausscheidungsrate im Urin festgestellt werden. Patienten mit einer diabetischen Retinopathie erhalten daher einmal jährlich eine Untersuchung auf das Vorliegen einer pathologisch erhöhten Eiweiß-Ausscheidungsrate im Urin bis zur Diagnose einer manifesten diabetischen Nephropathie. Darüber hinaus entscheidet der Leistungserbringer, ob im Einzelfall die Bestimmung der Eiweiß-Ausscheidungsrate indiziert ist.

1.7.2.3 Diabetische Retinopathie
Diabetiker können im Erkrankungsverlauf diabetesassoziierte Augenkomplikationen (z. B. diabetisch bedingte Retinopathie und Makulopathie) erleiden. Zur Früherkennung ist für alle in strukturierten Behandlungsprogrammen eingeschriebenen Versicherten mindestens einmal im Jahr eine ophthalmologische Netzhaut-Untersuchung in Mydriasis oder eine Netzhaut-Photographie (Fundus-Photographie) durchzuführen.
Wenn eine diabetesassoziierte Augenkomplikation diagnostiziert wurde, sind Interventionen vorzusehen, für die ein positiver Nutzennachweis im Hinblick auf die Vermeidung der Erblindung erbracht ist. Dazu zählt insbesondere die retinale Laser-Photokoagulation.

1.7.2.4 Diabetische Neuropathie
Sofern keine Kontraindikationen vorliegen sind für die Behandlung der symptomatischen diabetischen Neuropathie vorrangig Maßnahmen vorzusehen, für die ein positiver Nutzennachweis erbracht ist:

  1. -
    Optimierung der Stoffwechseleinstellung,
  2. -
    Amitriptylin (jeweils entsprechend dem arzneimittelrechtlichen Zulassungsstatus),
  3. -
    Carbamazepin, Gabapentin.


Bei Hinweisen auf eine autonome diabetische Neuropathie (z. B. Blasenentleerungsstörungen, erektile Dysfunktion, Magenentleerungsstörungen, stummer Herzinfarkt) ist eine spezialisierte weiterführende Diagnostik und ggf. Therapie einzuleiten.

1.7.2.5 Das diabetische Fußsyndrom
Ein Teil von Patienten mit Typ-2-Diabetes ist durch die Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms mit einem erhöhten Amputationsrisiko gefährdet.
Es ist bei allen Patienten eine routinemäßige Inspektion der Füße einschließlich Prüfung auf Neuropathie, Prüfung des Pulsstatus und Prüfung der Schuhversorgung mindestens einmal jährlich durchzuführen.
Bei Hinweisen auf das Vorliegen eines diabetischen Fußsyndroms oder eines Hochrisikofußes ist die Überweisung an eine auf die Behandlung des diabetischen Fußsyndroms spezialisierte Einrichtung erforderlich.

1.8 Kooperation der Versorgungssektoren

1.8.1 Überweisung vom Hausarzt zum jeweils qualifizierten Facharzt oder in eine diabetologische Schwerpunktpraxis bzw. diabetologisch spezialisierte Einrichtung
Die Langzeitbetreuung des Patienten und deren Dokumentation im Rahmen des strukturierten Behandlungsprogramms erfolgt grundsätzlich durch den Hausarzt im Rahmen seiner in § 73 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch beschriebenen Aufgaben. Bei Vorliegen folgender Indikationen muss eine Überweisung des Patienten zum jeweils qualifizierten Facharzt und/oder in eine diabetologische Schwerpunktpraxis bzw. diabetologisch spezialisierte Einrichtung erfolgen:

  1. -
    jährliche augenärztliche Kontrolluntersuchung (insb. Funduskopie) oder jährliche Netzhautuntersuchung mittels Netzhautphotographie,
  2. -
    Patienten mit Retinopathie und erhöhter Eiweißausscheidungsrate im Urin an den nephrologisch qualifizierten Arzt und an eine diabetologisch spezialisierte Einrichtung,
  3. -
    Nicht-Erreichen des individuell vereinbarten Ziel-Blutdruckwertes innerhalb eines Zeitraums von höchstens sechs Monaten an einen in der Hypertoniebehandlung qualifizierten Arzt,
  4. -
    Nicht-Erreichen des individuellen HbA1c-Zielwertes (nach spätestens sechs Monaten),
  5. -
    bei geplanter oder bestehender Schwangerschaft.


Im Übrigen entscheidet der Arzt nach pflichtgemäßem Ermessen über eine Überweisung. In Ausnahmefällen kann ein Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 einen diabetologisch besonders qualifizierten, an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt oder eine ärztlich geleitete, diabetologisch spezialisierte Einrichtung, die für die Erbringung dieser Leistungen zugelassen oder ermächtigt ist, auch zur Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination der weiteren Maßnahmen im strukturierten Behandlungsprogramm wählen, wenn der gewählte Arzt oder die gewählte Einrichtung an dem Programm teilnimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Patient bereits vor der Einschreibung von diesem Arzt oder dieser Einrichtung dauerhaft betreut worden ist oder diese Betreuung aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Die Überweisungsregeln nach den Sätzen 2 und 3 sind vom gewählten Arzt oder der gewählten Einrichtung zu beachten, wenn ihre besondere Qualifikation für eine Behandlung des Patienten aus den dort genannten Überweisungsanlässen nicht ausreicht.

1.8.2 Überweisung an eine auf die Behandlung des diabetischen Fußes spezialisierte Einrichtung
Bei Vorliegen eines diabetischen Fußsyndroms oder eines Hochrisikofußes muss im Hinblick auf eine fußerhaltende Therapie eine Überweisung an eine auf die Behandlung des diabetischen Fußes spezialisierte Einrichtung erfolgen.

1.8.3 Einweisung in ein Krankenhaus
Bei Vorliegen folgender Indikationen muss eine Einweisung des Patienten in ein geeignetes Krankenhaus erfolgen:

  1. -
    bei Notfallindikationen (in jedes Krankenhaus),
  2. -
    bei bedrohlichen Stoffwechselentgleisungen,
  3. -
    bei schweren speziellen Stoffwechselentgleisungen (z. B. häufige nächtliche Hypoglykämien, Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen),
  4. -
    bei infiziertem diabetischem Fuß neuropathischer oder angiopathischer Genese oder akuter neuroosteopathischer Fußkomplikationen.

1.8.4 Indikation für die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme
Im Rahmen des strukturierten Behandlungsprogramms ist zu prüfen, ob der Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 von einer Rehabilitationsmaßnahme profitieren kann.

1.8.5 Indikation für die Durchführung psychotherapeutischer Maßnahmen
Auf Grund des komplexen Zusammenwirkens von pathophysiologischen, psychologischen und sozialen Faktoren bei Diabetes mellitus ist durch den Arzt zu prüfen, inwieweit Patienten von psychologisch-psychotherapeutischen und/oder verhaltensmedizinischen Maßnahmen profitieren können.

2 . Qualitätssichernde Maßnahmen (§ 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)
Als Grundlage der Qualitätssicherung sind nachvollziehbare und relevante Ziele, die durch die Qualitätssicherung angestrebt werden, zu vereinbaren und zu dokumentieren. Hierzu gehören insbesondere die Bereiche:

  1. -
    Einhaltung der Anforderungen gemäß § 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (einschließlich Therapieempfehlungen) einschließlich einer qualitätsgesicherten und wirtschaftlichen Arzneimitteltherapie,
  2. -
    Einhaltung der Kooperationsregeln der Versorgungsebenen gemäß Ziffer 1.8 einschließlich der in Verträgen zu vereinbarenden Anforderungen an die Strukturqualität,
  3. -
    Vollständigkeit, Qualität und Verfügbarkeit der Dokumentation nach den Anlagen 2a und 2b,
  4. -
    aktive Teilnahme der Versicherten.


Die Vertragspartner haben dem Bundesversicherungsamt gegenüber nachzuweisen, welche Maßnahmen sie zur Umsetzung der oben genannten Ziele bzw. zur Dokumentation der Qualitätsindikatoren getroffen haben. Der Koordinierungsausschuss soll dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung als Bestandteil seiner jährlichen Empfehlungen zum Aktualisierungsbedarf weitere Kernziele für die Qualitätssicherung empfehlen.
Im Rahmen der strukturierten Behandlungsprogramme sind Maßnahmen vorzusehen, die nachweislich eine Erreichung der vereinbarten Ziele wirksam unterstützen. Ihr Einsatz kann auf im Behandlungsprogramm zu spezifizierende Gruppen von Patienten und Leistungserbringern beschränkt werden, die ein ausreichendes Verbesserungspotenzial erwarten lassen. Hierzu gehören insbesondere:

  1. -
    Maßnahmen mit Erinnerungs- und Rückmeldungsfunktionen (z. B. Remindersysteme) für Versicherte und Leistungserbringer,
  2. -
    strukturiertes Feedback auf der Basis der Dokumentationsdaten für Leistungserbringer mit der Möglichkeit einer regelmäßigen Selbstkontrolle; die regelmäßige Durchführung von strukturierten Qualitätszirkeln kann ein geeignetes Feedbackverfahren für teilnehmende Leistungserbringer sein,
  3. -
    Maßnahmen zur Förderung einer aktiven Teilnahme und Eigeninitiative der Versicherten,
  4. -
    Sicherstellung einer systematischen, aktuellen Information der Leistungserbringer und eingeschriebenen Versicherten.


Maßnahmen im Verhältnis zu den Leistungserbringern sind entsprechend zu vereinbaren. Im Rahmen der Programme sind außerdem strukturierte Verfahren zur besonderen Beratung von Versicherten durch die Krankenkassen oder von ihr beauftragten Dritten vorzusehen, deren Verlaufsdokumentation Hinweise auf mangelnde Unterstützung des strukturierten Behandlungsprozesses durch den Versicherten enthält.
Im Rahmen der strukturierten Behandlungsprogramme sind Regelungen zur Auswertung der für die Durchführung der Qualitätssicherung erforderlichen Daten zu treffen. Hierbei sind sowohl die bei den Krankenkassen vorliegenden Dokumentationsdaten nach den Anlagen 2a und 2b als auch die Leistungsdaten der Krankenkassen einzubeziehen. Eine angemessene Risikoadjustierung ist für die Interpretation der Ergebnisse sicherzustellen.
Im Rahmen der strukturierten Behandlungsprogramme sind wirksame Sanktionen vorzusehen, wenn die Partner der zur Durchführung strukturierter Behandlungsprogramme geschlossenen Verträge gegen die im Programm festgelegten Anforderungen verstoßen.
Die Durchführung der Qualitätssicherungsmaßnahmen ist gegenüber der zuständigen Prüfungsbehörde nachzuweisen; die durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen sind regelmäßig öffentlich darzulegen.

3 . Teilnahmevoraussetzungen und Dauer der Teilnahme der Versicherten (§ 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)
Der behandelnde Arzt soll prüfen, - - - - -

  1. -
    ob die Diagnose des Diabetes mellitus Typ 2 gesichert ist und
  2. -
    ob der Patient im Hinblick auf die unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele von der Einschreibung profitieren und aktiv an der Umsetzung mitwirken kann.


Die Einschreibekriterien sind demzufolge:

  1. -
    die Sicherung der Diagnose des Diabetes mellitus Typ 2 gemäß Ziffer 1.2 (Diagnostik) oder eine bereits vorliegende Therapie mit diabetesspezifischen, blutzuckersenkenden Medikamenten,
  2. -
    die grundsätzliche Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung und Teilnahme an Schulungen und
  3. -
    die zu erwartende Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung durch die intensivierte Betreuung.


Patientinnen mit Schwangerschaftsdiabetes werden nicht in ein strukturiertes Behandlungsprogramm aufgenommen.

4. Schulungen (§ 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)
Die Krankenkasse informiert Versicherte und Leistungserbringer umfassend über Ziele und Inhalte der strukturierten Behandlungsprogramme. Hierbei sind auch die vertraglich vereinbarten Versorgungsziele, Kooperations- und Überweisungsregeln, die zu Grunde gelegten Versorgungsaufträge und die geltenden Therapieempfehlungen transparent darzustellen. Die Krankenkasse kann diese Aufgabe an Dritte übertragen.

4.1 Schulungen der Leistungserbringer
Schulungen der Leistungserbringer dienen der Erreichung der vertraglich vereinbarten Versorgungsziele. Die Inhalte der Schulungen zielen auf die vereinbarten Management-Komponenten insbesondere bezüglich der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit ab. Die Vertragspartner definieren Anforderungen an die für die strukturierten Behandlungsprogramme relevante regelmäßige Fortbildung teilnehmender Leistungserbringer. Sie können die dauerhafte Mitwirkung der Leistungserbringer von entsprechenden Teilnahmenachweisen abhängig machen.

4.2 Schulungen der Versicherten
Jeder Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 soll Zugang zu einem strukturierten, evaluierten, zielgruppenspezifischen und publizierten Schulungs- und Behandlungsprogramm erhalten.
Patientenschulungen dienen der Befähigung des Versicherten zur besseren Bewältigung des Krankheitsverlaufs und zur Befähigung zu informierten Patientenentscheidungen. Hierbei ist der Bezug zu den hinterlegten strukturierten medizinischen Inhalten der Programme nach § 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch herzustellen. Der bestehende Schulungsstand der Versicherten ist zu berücksichtigen.
Bei Antragstellung müssen die Schulungsprogramme, die angewandt werden sollen, gegenüber dem Bundesversicherungsamt benannt, die Erfüllung der Umsetzung der unter Ziffer 1.3.1 genannten Therapieziele belegt und ihre Orientierung an internationalen Qualitätsstandards begründet werden. Die Qualifikation der Leistungserbringer ist sicherzustellen.

5. Evaluation (§ 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch)
Grundziele der Evaluation sind die Überprüfung

  1. -
    der Erreichung der Ziele des strukturierten Behandlungsprogramms,
  2. -
    der Einhaltung der Einschreibekriterien,
  3. -
    der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung nicht am Programm beteiligter Patienten mit programmgleichen oder anderen Diagnosen sowie
  4. -
    der ökonomischen Effizienz.


Die Ziele des Programms ergeben sich aus den Anforderungen gemäß § 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Anforderungen an die Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors) und § 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (durchzuführende Qualitätssicherungsmaßnahmen) sowie den Vereinbarungen zu den Qualitätssicherungsmaßnahmen.
Grundlage der Evaluation bilden die für den Evaluationszeitraum relevanten, versichertenbezogenen Dokumentationen nach § 28f der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung, alle Leistungsdaten sowie Abrechnungsdaten der teilnehmenden Leistungserbringer für die im Evaluationszeitraum eingeschriebenen Versicherten. Die Daten werden für die Zwecke der Evaluation pseudonymisiert.
Bei der Bewertung der Wirksamkeit des strukturierten Behandlungsprogramms ist zwischen der Funktionsfähigkeit des Programms und seiner Auswirkung auf die Versorgungslage zu unterscheiden:

  1. -
    Bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Programms sind insbesondere die Anforderungen gemäß § 137f Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch einschließlich des Verfahrens der Vereinbarung individueller Therapieziele zu evaluieren.
  2. -
    Gradmesser für die Auswirkung auf die Versorgungslage ist die Veränderung der Ausprägungen von Parametern der Prozess- und Ergebnisqualität des Mindest-Datensatzes relativ zu den ermittelten Ausgangswerten. Die Möglichkeiten des Vergleiches zu einer Kontrollgruppe nicht eingeschriebener Versicherter/nicht teilnehmender Leistungserbringer sind zu prüfen.


Die Evaluation kann auf der Grundlage einer repräsentativen Stichprobe der eingeschriebenen Versicherten erfolgen; sie ermöglicht eine versichertenbezogene Verlaufsbetrachtung über den Evaluationszeitraum.
Der Prozentsatz sowie die Versichertenstruktur der teilnehmenden Versicherten je Krankenkasse ist zu berücksichtigen. Versicherte, die das strukturierte Behandlungsprogramm freiwillig oder durch Ausschluss verlassen, sind besonders zu würdigen.
Die Evaluation soll auch subjektive Ergebnisqualitätsparameter (Lebensqualität, Zufriedenheit) auf der Basis einer einmaligen Stichproben-Befragung bei eingeschriebenen Versicherten mindestens jeweils zu Beginn und zum Ende des Evaluationszeitraums umfassen. Hierfür ist ein Adressmittlungsverfahren durch die Krankenkasse vorzusehen.
Unter der Berücksichtigung der benötigten Datenbasis können die Vertragspartner vereinbaren, inwieweit zu evaluieren ist, ob die Programme Auswirkungen auf die Versorgung von nicht eingeschriebenen Versicherten haben.
Die Evaluation beginnt ein halbes Jahr nach Akkreditierung des Programms und umfasst einen Zeitraum von drei Jahren. Jährliche Zwischenberichte sind an die Krankenkassen zu liefern und von diesen binnen acht Wochen zu veröffentlichen.

(1) Amtl. Anm.:

Die Definition basiert auf der WHO-Definition (World Health Organization. Definition, Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus and its Complications. Report of a WHO Consultation. Part 1: Diagnosis and Classification of Diabetes Mellitus. Geneva; 59 p, WHO/NCD/NCS/99.2).

(2) Amtl. Anm.:

Vgl. hierzu 1. Testa MA, Simonson DC. Health Economic Benefits and Quality of Life During Improved Glycemic Control in Patients With Type 2 Diabetes Mellitus. A Randomized, Controlled, Double-Blind Trial. JAMA 1998; 280:1490-96. und 2. U.K. Prospective Diabetes Study Group. Quality of Life in Type 2 Diabetic Patients is affected by Complications but not by intensive Policies to improve Blood Glucose or Blood Pressure Control (UKPDS 37). Diabetes Care 1999; 22:1125-36.