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  • ab 21.06.2024 (aktuelle Fassung)

Anlage 2 NArchtG - Verhältnismäßigkeitsprüfung von Satzungen

Bibliographie

Titel
Niedersächsisches Architektengesetz (NArchtG) 
Amtliche Abkürzung
NArchtG
Normtyp
Gesetz
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
77210

(zu § 26 Abs. 5)

I. Begriffsbestimmungen

  1. 1.

    ‚Reglementierter Beruf‘ ist eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist; eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen.

  2. 2.

    ‚Berufsqualifikationen‘ sind die Qualifikationen, die durch einen Ausbildungsnachweis, einen Befähigungsnachweis nach Artikel 11 Buchst. a Ziffer i der Richtlinie 2005/36/EG und/oder Berufserfahrung nachgewiesen werden.

  3. 3.

    ‚Geschützte Berufsbezeichnung‘ bezeichnet eine Form der Reglementierung eines Berufs, bei der die Verwendung einer Bezeichnung bei der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit oder einer Gruppe von beruflichen Tätigkeiten aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften unmittelbar oder mittelbar dem Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation unterliegt und bei einer missbräuchlichen Verwendung dieser Bezeichnung Sanktionen verhängt werden.

  4. 4.

    ‚Vorbehaltene Tätigkeiten‘ bedeutet eine Form der Reglementierung eines Berufs, bei der der Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit oder einer Gruppe von beruflichen Tätigkeiten aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften unmittelbar oder mittelbar Angehörigen eines reglementierten Berufs, die Inhaberinnen oder Inhaber einer bestimmten Berufsqualifikation sind, vorbehalten wird, und zwar auch dann, wenn diese Tätigkeit mit anderen reglementierten Berufen geteilt wird.

II. Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung

  1. 1.

    Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind sämtliche der folgenden Punkte zu berücksichtigen:

    1. a)

      die Eigenart der mit den angestrebten Zielen des Allgemeininteresses verbundenen Risiken, insbesondere der Risiken für Dienstleistungsempfängerinnen und Dienstleistungsempfänger, einschließlich Verbraucherinnen und Verbraucher, Berufsangehörige und Dritte;

    2. b)

      die Frage, ob bestehende Regelungen spezifischer oder allgemeiner Art, etwa die Regelungen in Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Produktsicherheit oder des Verbraucherschutzes, nicht ausreichen, um das angestrebte Ziel zu erreichen;

    3. c)

      die Eignung der Vorschrift zur Erreichung des angestrebten Ziels sowie die Frage, ob sie diesem Ziel tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise gerecht wird und somit den Risiken entgegenwirkt, die bei vergleichbaren Tätigkeiten in ähnlicher Weise identifiziert wurden;

    4. d)

      die Auswirkungen auf den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr innerhalb der Europäischen Union, die Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher und die Qualität der bereitgestellten Dienstleistungen;

    5. e)

      die Frage, ob zur Erreichung des im Allgemeininteresse liegenden Zieles auch auf mildere Mittel zurückgegriffen werden kann; wenn die Vorschrift nur durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt ist und sich die identifizierten Risiken auf das Verhältnis zwischen der oder dem Berufsangehörigen und der Verbraucherin oder dem Verbraucher beschränken und sich deshalb nicht negativ auf Dritte auswirken, ist im Sinne dieses Buchstabens insbesondere zu prüfen, ob das Ziel durch Maßnahmen erreicht werden kann, die milder sind als die Maßnahme, die Tätigkeiten vorzubehalten.

  2. 2.

    Darüber hinaus sind bei der Prüfung die folgenden Punkte zu berücksichtigen, wenn sie für die Art und den Inhalt der neu eingeführten oder geänderten Vorschrift relevant sind:

    1. a)

      der Zusammenhang zwischen dem Umfang der Tätigkeiten, die von einem Beruf erfasst sind oder die einem Beruf vorbehalten sind und der erforderlichen Berufsqualifikation;

    2. b)

      der Zusammenhang zwischen der Komplexität der betreffenden Aufgaben und der Notwendigkeit, dass diejenigen, die die Aufgaben wahrnehmen, im Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation sind, insbesondere in Bezug auf Niveau, Eigenart und Dauer der erforderlichen Ausbildung oder Erfahrung;

    3. c)

      die Möglichkeit, die berufliche Qualifikation auf alternativen Wegen zu erlangen;

    4. d)

      die Frage, ob und warum die bestimmten Berufen vorbehaltenen Tätigkeiten mit anderen Berufen geteilt oder nicht geteilt werden können;

    5. e)

      der Grad an Autonomie bei der Ausübung eines reglementierten Berufs und die Auswirkungen von Organisations- und Überwachungsmodalitäten auf die Erreichung des angestrebten Zieles, insbesondere wenn die mit einem reglementierten Beruf zusammenhängenden Tätigkeiten unter der Kontrolle und Verantwortung einer ordnungsgemäß qualifizierten Fachkraft stehen;

    6. f)

      die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen, die die Informationsasymmetrie zwischen Berufsangehörigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern tatsächlich abbauen oder verstärken können.

  3. 3.

    Wird die neue oder geänderte Vorschrift mit einer oder mehreren der folgenden nicht abschließend aufgezählten Anforderungen kombiniert, so ist die Auswirkung der neuen oder geänderten Vorschrift zu prüfen; insbesondere ist zu prüfen, wie die neue oder geänderte Vorschrift kombiniert mit anderen Anforderungen zum Erreichen desselben legitimen Zwecks beiträgt und ob sie hierfür notwendig ist:

    1. a)

      Tätigkeitsvorbehalte, geschützte Berufsbezeichnung oder jede sonstige Form der Reglementierung im Sinne des Abschnitts I Nr. 1;

    2. b)

      Verpflichtungen zur kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung;

    3. c)

      Vorschriften in Bezug auf Berufsorganisationen, Standesregeln und Überwachung;

    4. d)

      Pflichtmitgliedschaft in einer Berufsorganisation, Registrierungs- und Genehmigungsregelungen, insbesondere wenn diese Anforderungen den Besitz einer bestimmten Berufsqualifikation voraussetzen;

    5. e)

      quantitative Beschränkungen, insbesondere Anforderungen, die die Zahl der Zulassungen zur Ausübung eines Berufs begrenzen oder die eine Mindest- oder Höchstzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder Vertreterinnen und Vertreter festsetzen, die bestimmte Berufsqualifikationen besitzen;

    6. f)

      Anforderungen an bestimmte Rechtsformen oder Anforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstruktur oder Geschäftsleitung eines Unternehmens, soweit diese Anforderungen unmittelbar mit der Ausübung des reglementierten Berufs zusammenhängen;

    7. g)

      geografische Beschränkungen, auch dann, wenn der Beruf in Teilen der Bundesrepublik Deutschland in einer Weise reglementiert ist, die sich von der Reglementierung in anderen Teilen unterscheidet;

    8. h)

      Anforderungen, die die gemeinschaftliche oder partnerschaftliche Ausübung eines reglementierten Berufs beschränken, sowie Unvereinbarkeitsregeln;

    9. i)

      Anforderungen an den Versicherungsschutz oder andere Mittel des persönlichen oder kollektiven Schutzes in Bezug auf die Berufshaftpflicht;

    10. j)

      Anforderungen an Sprachkenntnisse, soweit diese für die Ausübung des Berufs erforderlich sind;

    11. k)

      festgelegte Mindest- und/oder Höchstpreisanforderungen;

    12. l)

      Anforderungen an die Werbung.

  4. 4.

    Zusätzlich ist sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten wird, wenn spezifische Anforderungen im Zusammenhang mit der vorübergehenden oder gelegentlichen Erbringung von Dienstleistungen gemäß Titel II der Richtlinie 2005/36/EG, einschließlich der folgenden Anforderungen, neu eingeführt oder geändert werden:

    1. a)

      eine automatische vorübergehende Eintragung oder eine Pro-Forma-Mitgliedschaft bei einer Berufsorganisation gemäß Artikel 6 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2005/36/EG;

    2. b)

      eine vorherige Meldung gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/36/EG, die gemäß Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie 2005/36/EG erforderlichen Dokumente oder eine sonstige gleichwertige Anforderung;

    3. c)

      die Zahlung einer Gebühr oder von Entgelten, die von der Dienstleistungserbringerin oder dem Dienstleistungserbringer für die Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit dem Zugang zu reglementierten Berufen oder deren Ausübung gefordert werden.

    Die Verpflichtung nach Satz 1 gilt nicht für Maßnahmen, durch die die Einhaltung geltender Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleistet werden soll, die im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union angewendet werden.