§ 34a PAG - Überwachung der Telekommunikation, Datenerhebung von Mobilfunkkarten und -endgeräten und sonstige Eingriffe (1)
Bibliographie
- Titel
- Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei (Polizeiaufgabengesetz - PAG)
- Amtliche Abkürzung
- PAG
- Normtyp
- Gesetz
- Normgeber
- Thüringen
- Gliederungs-Nr.
- 2012-2
(1) Die Polizei kann unter Mitwirkung eines Diensteanbieters (§ 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes - TKG -)
- 1.
die laufenden Telekommunikationsinhalte überwachen und aufzeichnen,
- 2.
die innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte und
- 3.
Verkehrsdaten (§ 96 Abs. 1 und § 113a TKG) erheben.
Erfolgt die Erhebung von Verkehrsdaten nicht beim Diensteanbieter, gelten für sie nach Abschluss des Kommunikationsvorgangs im Übrigen die allgemeinen Bestimmungen dieses Gesetzes und des Telemediengesetzes.
(2) Die Polizei kann mit Hilfe von eigenen technischen Erfassungsanlagen
- 1.
die laufenden Telekommunikationsinhalte überwachen und aufzeichnen,
- 2.
die Gerätenummer eines Mobilfunkendgerätes und die Kartennummer der darin verwendeten Karte und
- 3.
die Standortdaten des Mobilfunkendgerätes (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 TKG)
erheben. Ferner kann die Polizei die laufenden Telekommunikationsinhalte in der Weise überwachen und aufzeichnen, dass mit informationstechnischen Programmen in vom Betroffenen genutzte informationstechnische Systeme eingegriffen wird, wenn
- 1.
durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich eine laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird, und
- 2.
der Eingriff in das informationstechnische System notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation in unverschlüsselter Form zu ermöglichen.
Im Übrigen ist ein Zugriff auf Dateien sowie alle anderen auf dem informationstechnischen System integrierten technischen Systemkomponenten unzulässig.
(3) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 oder 2 ist nur zulässig
- 1.
bei einer für eine Gefahr verantwortlichen Person, soweit dies zur Abwehr einer dringenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen, soweit eine gemeine Gefahr besteht, zwingend erforderlich ist,
- 2.
bei einer Person zur Verhütung einer Straftat, wenn konkrete Planungs- und Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen die begründete Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat im Sinne des § 31 Abs. 5 begangen werden soll, wobei solche Tatsachen insbesondere darin bestehen können, dass die Person
- a)
mit einer anderen Person die Begehung einer solchen Straftat verabredet,
- b)
eine andere Person zur Begehung einer solchen Straftat anzuwerben versucht,
- c)
sich zur Begehung einer solchen Straftat ernstlich bereit erklärt,
- d)
Tatmittel für eine solche Straftat beschafft oder Verhandlungen zu diesem Zweck aufnimmt,
- e)
ein mögliches Tatobjekt einer solchen Straftat auskundschaftet,
- f)
sich zur Begehung einer solchen Straftat schulen ließ oder lässt oder
- g)
sich ein Alibi für eine solche Straftat verschafft, oder
- 3.
bei Personen, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
- a)
sie für nach den Nummern 1 oder 2 verantwortliche Personen bestimmte oder von diesen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben sowie
- b)
die nach den Nummern 1 oder 2 verantwortlichen Personen ihre Kommunikationseinrichtungen benutzen werden
und die Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe ohne die Erkenntnisse aus dieser Maßnahme oder den damit verbundenen Maßnahmen wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre. Die Datenerhebung von Verkehrsdaten nach Absatz 1 Nr. 3 kann unter den Voraussetzungen des Satzes 1 mit der Maßgabe, dass eine dringende Gefahr nach Satz 1 Nr. 1 oder eine in Satz 1 Nr. 2 beschriebene Straftat nach § 31 Abs. 5 Satz 1 vorliegt, auch für einen zurückliegenden Zeitraum verlangt werden, der zwei Monate nicht überschreiten darf. Die Erhebung dieser Daten über andere als die in Satz 1 genannten Personen ist zulässig, soweit dies eine unvermeidliche Folge der Maßnahme ist.
(4) Die Polizei kann, wenn und soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person zwingend erforderlich ist, durch den Einsatz technischer Mittel Kommunikationsverbindungen unterbrechen oder verhindern. Kommunikationsverbindungen Dritter dürfen unter diesen Voraussetzungen nur unterbrochen oder verhindert werden, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person durch andere Mittel nicht abgewehrt werden kann.
(5) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 bis 4 darf nur auf Antrag des Leiters der Landespolizeidirektion oder des Leiters des Landeskriminalamts oder, bei deren jeweiliger Verhinderung, eines besonders beauftragten Beamten des höheren Polizeivollzugsdienstes durch den Richter angeordnet werden. Soweit Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 3, Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, Absatz 3 Satz 2 sowie nach Absatz 4 erforderlich sind, können bei Gefahr im Verzug die in Satz 1 genannten Behördenleiter oder, bei deren jeweiliger Verhinderung, ein besonders beauftragter Beamter des höheren Polizeivollzugsdienstes die Anordnung treffen. Die Anordnung nach Satz 2 tritt außer Kraft, wenn sie nicht unverzüglich, jedoch spätestens binnen drei Werktagen gerichtlich bestätigt wird. Für die Entscheidung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Polizeibehörde ihren Sitz hat. Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend.
(6) Der Antrag ergeht schriftlich. Er enthält
- 1.
soweit bekannt, den Namen und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet,
- 2.
bei einer Überwachung oder Datenerhebung der Telekommunikation zusätzlich
- a)
die Rufnummer oder
- b)
eine andere Kennung des Telekommunikationsanschlusses oder die Kennung des Endgerätes, sofern sich nicht aus bestimmten Tatsachen ergibt, dass diese zugleich einem anderen Endgerät zugeordnet ist, oder
- c)
auch die Bezeichnung des informationstechnischen Systems,
- 3.
die Art, den Umfang und die Dauer der Maßnahme unter Benennung des Endzeitpunktes und
- 4.
die wesentlichen Gründe.
Die Anordnung ist auf den nachfolgend genannten Zeitraum zu befristen:
- 1.
in den Fällen der Absätze 2 und 4 Satz 1 höchstens zwei Wochen,
- 2.
im Fall des Absatzes 4 Satz 2 höchstens drei Tage,
- 3.
in allen anderen Fällen höchstens auf drei Monate.
Auf Antrag ist eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als den in Satz 3 genannten Zeitraum möglich, soweit die Voraussetzungen der Anordnung unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse fortbestehen. Die Beendigung der Maßnahme ist dem Richter binnen drei Werktagen mitzuteilen, soweit eine richterliche Anordnung erging.
(7) Die erhebende Stelle prüft unverzüglich, ob die personenbezogenen Daten im Rahmen der Aufgabenerfüllung allein oder zusammen mit bereits vorliegenden Daten nach den Absätzen 1 bis 4 erforderlich sind. Soweit diese Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für eine Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind sie unverzüglich zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren.
Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs
Vom 14. Dezember 2012 (GVBl. S. 482)
Aus dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 21. November 2012 - VerfGH 19/09 - werden die Nummern 1 und 2 der Entscheidungsformel veröffentlicht:
- 1.
Unvereinbar nach Maßgabe der Gründe sind von den Vorschriften des Thüringer Polizeiaufgabengesetzes vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung sicherheits- und verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Juli 2008 (GVBl. S. 245) und in der Fassung späterer Gesetze:
§ 5 Abs. 3 Sätze 1 und 5, Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 mit Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen,
§ 5 Abs. 7 mit Art. 1 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen,
im Hinblick auf eine fehlende Regelung zur Dokumentation § 34 Abs. 2 und § 35 Abs. 7 mit Art. 42 Abs. 5 Verfassung des Freistaats Thüringen, § 34b Abs. 2 mit Art. 7 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Freistaats Thüringen,
§ 34 Abs. 2 Satz 2 und § 34b Abs. 1 wegen der unterlassenen Regelung zum Abbruch der Maßnahme mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 und 2 und Art. 7 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen,
§ 34 Abs. 3 Nr. 2 und Nr. 3, soweit letztere sich auf Nummer 2 bezieht, mit Art. 3 Abs. 2 i. V m. Art. 6 Abs. 1 und 2 Verfassung des Freistaats Thüringen,
§ 34a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3, soweit letztere sich auf Nummer 2 bezieht, mit Art. 7 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen,
§ 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 mit Art. 8 Abs. 1 Verfassung des Freistaats Thüringen und
§ 34 Abs. 9 Sätze 1, 5 und 6 und Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 mit Art. 3 Abs. 2 i. V m. Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 2 Sätze 2 und 3, Art. 8 Abs. 1 und Art. 42 Abs. 5 Verfassung des Freistaats Thüringen.
- 2.
Die Vorschriften dürfen bis zu ihrer Neuregelung nach Maßgabe der Gründe weiter angewandt werden. Dem Gesetzgeber wird aufgegeben, bis zum 30. September 2013 eine Neuregelung zu treffen.
Die vorstehende Entscheidungsformel hat gemäß § 25 Abs. 2 des Thüringer Verfassungsgerichthofsgesetzes Gesetzeskraft.