§ 7 JGG - Maßregeln der Besserung und Sicherung (1)

Bibliographie

Titel
Jugendgerichtsgesetz (JGG)
Amtliche Abkürzung
JGG
Normtyp
Gesetz
Normgeber
Bund
Gliederungs-Nr.
451-1

(1) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts können die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 61 Nr. 1, 2, 4 und 5 des Strafgesetzbuches).

(2) Sind nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen oder auch wegen eines Verbrechens

  1. 1.

    gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder

  2. 2.

durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird.

(3) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 2 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn

  1. 1.

    die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und

  2. 2.

    die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 2 bezeichneten Art begehen wird.

(4) Die regelmäßige Frist zur Prüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen ist (§ 67e des Strafgesetzbuches), beträgt in den Fällen der Absätze 2 und 3 ein Jahr.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Vom 30. Mai 2011 (BGBl. I S. 1003)

Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09, 2 BvR 740/10, 2 BvR 2333/08, 2 BvR 1152/10, 2 BvR 571/10 - wird folgende Entscheidungsformel veröffentlicht:

  1. II.
    1. 1.
      1. a)

        § 67d Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) - soweit er zur Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus auch bei Verurteilten ermächtigt, deren Anlasstaten vor Inkrafttreten von Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) begangen wurden -, § 66b Absatz 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 513), § 7 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vom 8. Juli 2008 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1212) sowie

      2. b)

        § 66 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 66 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3007), § 66a des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 66a Absatz 1 und Absatz 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3344), § 66b des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 66b Absatz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 513), § 66b Absatz 3 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1838), § 67d Absatz 2 Satz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) - soweit er zur Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung bis zu zehn Jahren ermächtigt -, § 67d Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160), § 67d Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 7 Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 7 Absatz 3 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vom 8. Juli 2008 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1212), § 106 Absatz 3 Satz 2 und Satz 3, Absatz 5 und Absatz 6 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300), § 106 Absatz 3 Satz 2 und Satz 3 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27. Dezember 2003 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 3007), § 106 Absatz 5 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 513) und § 106 Absatz 6 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vom 23. Juli 2004 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1838)

      sind mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar.

    2. 2.

      § 67d Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) in Verbindung mit § 2 Absatz 6 des Strafgesetzbuchs - soweit er zur Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus auch bei Verurteilten ermächtigt, deren Anlasstaten vor Inkrafttreten von Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) begangen wurden -, § 66b Absatz 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung vom 13. April 2007 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 513) und § 7 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vom 8. Juli 2008 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 1212)

      sind darüber hinaus mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes unvereinbar.

  2. III.

    Gemäß § 35 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht wird angeordnet:

    1. 1.

      Die unter Nummer II.1. angeführten Vorschriften bleiben bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, nach Maßgabe der Gründe weiter anwendbar.

    2. 2.

      Die unter Nummer II.2. angeführten Vorschriften bleiben ebenfalls bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, weiter anwendbar, jedoch nach folgender Maßgabe:

      1. a)

        In den von § 67d Absatz 3 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 6 des Strafgesetzbuchs erfassten Fällen, in denen die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus Sicherungsverwahrte betrifft, deren Anlasstaten vor Inkrafttreten von Artikel 1 des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 160) begangen wurden, sowie in den Fällen der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Absatz 2 des Strafgesetzbuchs und des § 7 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes dürfen die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beziehungsweise ihre Fortdauer nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz - ThUG)Artikel 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 2300) - leidet.

      2. b)

        Die zuständigen Vollstreckungsgerichte haben unverzüglich nach Verkündung dieses Urteils zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer Sicherungsverwahrung nach Buchstabe a) gegeben sind. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ordnen die Vollstreckungsgerichte die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 an.

      3. c)

        Die Überprüfungsfrist für die Aussetzung oder Erledigung der Sicherungsverwahrung beträgt in den Fällen des § 7 Absatz 2 des Jugendgerichtsgesetzes abweichend von § 7 Absatz 4 des Jugendgerichtsgesetzes sechs Monate, in den übrigen Fällen des Buchstaben a) abweichend von § 67e Absatz 2 des Strafgesetzbuchs ein Jahr.

Die vorstehende Entscheidungsformel hat gemäß § 31 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes Gesetzeskraft.