§ 10 StrUG NRW - Ärztliche Zwangsmaßnahme zur Herstellung der Selbstbestimmungsfähigkeit
Bibliographie
- Titel
- Gesetz zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (Strafrechtsbezogenes Unterbringungsgesetz NRW - StrUG NRW)
- Amtliche Abkürzung
- StrUG NRW
- Normtyp
- Gesetz
- Normgeber
- Nordrhein-Westfalen
- Gliederungs-Nr.
- 46
(1) Ist die untergebrachte Person infolge ihrer Anlasserkrankung nicht einsichtsfähig und kann sie die mit einer Behandlung verbundene Chance auf Besserung nicht erkennen oder nicht ergreifen, ist ausnahmsweise eine ihrem natürlichen Willen widersprechende ärztliche Zwangsmaßnahme zulässig. Eine solche Zwangsmaßnahme darf ausschließlich mit dem Ziel vorgenommen werden, bei der untergebrachten Person die Einsichtsfähigkeit als tatsächliche Voraussetzungen zur Ausübung freier Selbstbestimmung zu schaffen oder wiederherzustellen.
(2) Eine Patientenverfügung gemäß § 1827 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist zu beachten.
(3) Eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach Absatz 1 darf nur als letztes Mittel und nur durchgeführt werden, wenn
- 1.
die vorgesehene Behandlung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, in Art, Umfang und Dauer erforderlich und für die Beteiligten zumutbar ist,
- 2.
der für die untergebrachte Person zu erwartende Nutzen die mit der ärztlichen Zwangsmaßnahme einhergehenden Belastungen deutlich überwiegt und eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos ist,
- 3.
die Behandlung nicht mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist,
- 4.
mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck durch eine überzeugungsfähige und -bereite Person unternommenen Versuche vorausgegangen sind, die Zustimmung der untergebrachten Person zu erreichen und
- 5.
die untergebrachte Person durch eine Ärztin oder einen Arzt über das Ob und das Wie der vorgesehenen ärztlichen Zwangsmaßnahme entsprechend ihrer Verständnismöglichkeit aufgeklärt wurde.
(4) Die Behandlung wird fachärztlich angeordnet, geleitet und überwacht. Die Anordnung erfolgt im Einvernehmen mit der therapeutischen Leitung.
(5) Die Vornahme der ärztlichen Zwangsmaßnahme aufgrund der ärztlichen Anordnung bedarf der vorherigen richterlichen Entscheidung unter Hinzuziehung einer externen Begutachtung. Gerichtliche Zuständigkeit und gerichtliches Verfahren richten sich nach den §§ 121a und 121b des Strafvollzugsgesetzes vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436) in der jeweils geltenden Fassung. Bei Minderjährigen bedarf sie auch der Zustimmung der sorgeberechtigten Person.
(6) Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen und die ergriffenen Maßnahmen einschließlich ihres Zwangscharakters, der Durchsetzungsweise und der Wirkungsüberwachung sowie der Untersuchung- und Behandlungsverlauf sind zu dokumentieren. Die Aufsichtsbehörde ist über durchgeführte ärztliche Zwangsmaßnahmen zeitnah durch die untere staatliche Maßregelvollzugsbehörde zu unterrichten, welche im Anschluss den gesetzlichen Betreuer und die durch eine Vorsorgevollmacht bevollmächtige Person zu informieren hat. Dem Wunsch der untergebrachten Person nach Unterrichtung weiterer Personen soll entsprochen werden.
(7) Sobald es der Gesundheitszustand der von der Zwangsmaßnahme betroffenen Person zulässt, ist ihr eine Nachbesprechung über die Behandlung, den Verlauf und die daraus zu ziehenden Folgerungen anzubieten und eine Vereinbarung über geeignete Hilfen im Wiederholungsfall anzubieten.
(8) Die Absätze 1 bis 7 gelten für Untersuchungen, die im Rahmen der Behandlung der Anlasserkrankung erforderlich und mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, entsprechend.
(9) Die Behandlung ist nach Erreichen des Behandlungsziels, spätestens jedoch nach Ablauf von vier Monaten, zu beenden. Sie ist auch zu beenden, wenn im Verlauf der Behandlung die erwartete Besserung nicht eintritt und unverzüglich zu beenden, wenn schwerwiegende Nebenwirkungen einen Abbruch der Behandlung erforderlich machen. Nach Ablauf von jeweils vier Monaten darf die Behandlung nur unter den Voraussetzungen der Absätze 1 bis 5 erneut angeordnet werden.
(10) Für eine ärztliche Zwangsmaßnahme bei Personen, die gemäß § 126a der Strafprozeßordnung vorläufig, gemäß § 81 der Strafprozeßordnung zur Vorbereitung eines Gutachtens oder gemäß § 73 des Jugendgerichtsgesetzes zur Beobachtung untergebracht sind, gilt § 1832 des Bürgerlichen Gesetzbuches.